BRAVE NEW WORLD

 

BRAVE NEW WORLD

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg vom 26.07. – 08.09.2002

DIGITALE  RAUMINSTALLATION

Begehbarer Spiegelkubus, Spiegel auf Holzunterkonstruktion, 14qm Innenraum als verspiegeltes Oktogon, 11 adnotam TFT- Displays integriert in Spiegelflächen auf 2 Wänden, 3 DVD – Zuspieler, 3 DVDs mit Audio, Länge: 19´10 min x 3

Länge: 3´30 min, 2002 

Press clippings:

FRAGEN FÜR DIE UNENDLICHKEIT  

von Christian T. Schön, TAZ vom 25.07.02

Christina Lissmann stellt im Museum für Kunst und Gewerbe ihr neuestes Werk vor: „Brave New World“, ein innerlich und äusserlich anzuwendender Spiegelkubus als Hommage an Aldous Huxley.

Schönheit blinzelt sich im Spiegel an. Wahrheit offenbart das Spieglein an der Wand. Als Zeichen der Jungfräulichkeit, der Selbsterkenntnis und Weisheit gilt er in vielen Religionen. Ob zur optischen Raumvergrösserung in Supermärkten, als Endo- oder Teleskop – die hauchdünn mit Quecksilber beschichtete Glasplatte ermöglicht Irritationen der Pupille und Blicke in Zukunft und Vergangenheit, Körper und Universum des Menschen.

Diese und andere Reflexions-Ideen hat Christina Lissmann zu einer kurzen Kulturgeschichte des Spiegels zusammengetragen, die ab morgen im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist, einflossen. Bisher war die 37-Jährige vor allem als Videokünstlerin aufgefallen. Nach monitor mirror space ist brave new world ihre zweite Arbeit, bei der sie Spiegel verwendet und in der sie – in Polke-Tradition – erstmals mehrere Bedeutungslagen übereinander lädt.

Die Zahlenmystik, auf der die minimalistischen, komplett verspiegelten Grundformen des begehbaren Kubus‘ basieren, erklärt Lissmann wie folgt: Die vier Meter Seitenlänge, die der quadratische Grundriss misst, stünden für die Gesamtheit der Welt. Der Oktogon-Innenraum symbolisiere die Unendlichkeit, die liegende Acht die Infinität. Die Aussenhaut des Kubus also als Widerspiegelung des Museumsbesuchers, kurz: der sichtbaren Wirklichkeit. Im Inneren findet sich eine abgedunkelte, von Bildschirmen stimmungsvoll beflackerte Kammer. Strahlenförmig verschwindet der Besucher zugleich in den unendlichen Wiederholungen seiner selbst.

Elf Köpfe – mythische Stiere, weise Priester, Piloten, Astronauten, Bauersfrauen – blicken einen an. Während einige schweigen, reden die anderen und stellen Fragen. Beschwörend, zickig, neugierig oder gedämpft. Selten nervend oder fordernd. Niemals beunruhigend. „Sind Sie alleine hier?“, „Essen Sie gerne Fleisch?“, „Wissen Sie, welche Schuhgrösse ich habe?“ – Fragen, die sich die SchauspielerInnen selbst überlegt haben.

Doch genau hier liegt auch das Problematische an diesem so beliebten Thema in der Kunst: Die notwendige Erschütterung, um den Betrachter zu (neuer) Selbsterkenntnis anzuregen, bleibt aus. Unberührt lassen ihn die ins Unendliche gespiegelten Fragen zurück, auch so spannende wie „Glauben Sie, dass die Demokratie ein Experiment ist?“ oder „Können Sie noch mal von vorne anfangen?“ Also keine Endoskopie des Innern, nur eine wirklich brave neue Welt?

Wenn Christina Lissmann in diesem Zusammenhang von „Selbstreferenzialität“, „Ich-Erhöhung durch Nachbildung“ oder „Selbst-Werbung und Erkenntnis des Selbst“ spricht, dann klingt das nach der promovierten Philosophin Lissmann. Beredt hält sie sich mit Interpretationshilfen zurück und überlässt dies der Kunsthistorikerin Anne-Marie Melster, die heute Abend die Eröffnungsrede hält, in der sie unter anderem mit Walter Benjamin auf den „Verfall der Aura durch Technologisierung“ eingeht. Die Anlehung an Aldous Huxleys Roman Schöne neue Welt will die Künstlerin abstrakt, aber doch als „Hommage“ verstanden wissen. Huxley beschrieb vor 70 Jahren ein Utopia, in dem der Fortbestand der Menschheit durch das legendäre „Bokanowskyverfahren“, eine gentechnische Reproduktion sozialer Kasten, gewährt wird und in der jede Neugier und Lust aufs Fragen abgetötet wird. Da ist es gut zu wissen, dass doch die eine oder andere Frage den Betrachter erreicht und dass auch die unendliche Wiederholung in den Spiegeln nicht Huxleys utopisches Versprechen einlöst, das da lautet: „62.000 Wiederholungen ergeben eine Wahrheit.“

SIND SIE ALLEINE HIER ? , Hamburger Morgenpost vom 26.07.02

Betritt man das Innere von Christina Lissmanns würfelförmiger Installation im Museum für Kunst und Gewerbe, fühlt man sich erst einmal verunsichert. Es ist dunkel, acht verspiegelte Wände reflektieren ins Unendliche. Auf digitalen Bildschirmen werfen verkleidete Gestalten dem Besucher unaufhörlich Fragen entgegen: “Haben Sie Angst im Dunkeln?, “Sind Sie allein hier?“, “Wo wollen Sie denn schon wieder hin? Bleiben Sie doch!“. Die verschieden grossen Bildschirme sind direkt in den Spiegeln integriert. Im Sekundentakt leuchten sie auf und verschwinden und fordern den Betrachter heraus.

Brave New World, schöne neue Welt, ist der Titel des vier mal vier Meter grossen Spiegel-Kubus. Aldous Huxleys gleichnamiger Roman von 1932 war die Inspiration für Christina Lissmann. Huxley´s Schöne Neue Welt, das war eine funktionierende Spassgesellschaft, in der genmanipulierte Menschen ihr Glück mithilfe von Pillen und Gefühls-Simulatoren fanden.
Nicht ganz unähnlich unserer Welt, findet die Künstlerin. 70 Jahre nach Huxleys satirischer Zukunftsvision arbeitet die Forschung am genetisch perfekten Körper, die amerikanische Glücksdroge Prozac verspricht ein sorgenfreies Leben. Lissmanns Brave New World liegt demnach nicht im Inneren, sondern ausserhalb des Kubus: Bei den Besuchern, die die riesigen Spiegelwände des Würfels umrunden und dabei meist nur einen kurzen, verstohlenen Blick auf ihr Spiegelbild werfen ­ man will ja nicht eitel sein.
Lissmann wurde in Chicago geboren und war Assistentin des Malers Sigmar Polke. Neben Kunst studierte sie auch Philosophie. “Kunst und Philosophie beschäftigen sich mit denselben elementaren Lebensfragen“, betont sie. Fragen wie jene, die einem die Schauspieler auf den Videobildschirmen pausenlos entgegenwerfen ­ übrigens völlig improvisiert. “Nur bei Krankheit oder Todesfällen fangen die Leute an zu philosophieren. Bei uns ist alles so auf Statements fixiert“, meint Lissmann. Antworten müssen die Besucher zu Hause wohl selbst suchen.

Spiegelbild der Seele – Videoinstallation wird zur Sinnfrage

Kultur & Medien, 27.07.02
Hamburg – „Was bedeutet Glück?“ Schneller, wo bleibt die Antwort – schliesslich sind noch mehr Fragen offen: „Hat ,cool sein‘ eine Halbwertzeit?“, „Hast du Freunde?“ oder „Willst du mich knutschen?“.
Solche Reflexionen über die eigene Existenz, sonst höchstens im Urlaub oder nach einer durchzechten Nacht angestellt, verlangen die Monitorwände der digitalen Rauminstallation „Brave New World“ im Sekundentakt. Inspiriert von Aldous Huxleys Roman, hat die in Hamburg lebende Videokünstlerin Christina Lissmann im Museum für Kunst und Gewerbe einen vier mal vier Meter grossen, verspiegelten Kubus aufgebaut, der den Besucher zur Auseinandersetzung mit seiner Identität auffordert.
Während der Betrachter von aussen ein einfaches Bild seiner selbst erhält, duplizieren ihn die verspiegelten Scheiben im Inneren dutzendfach und heben seine Individualität auf. Dazu bohren Fragesteller auf den Bildschirmen nach dem Seelenzustand des Betrachters. Bilder und Stimmen verschwimmen, die Suche nach optischen oder inhaltlichen Fixpunkten in dem abgedunkelten Raum symbolisiert die Suche nach Individualität in der schnellen und flüchtigen „schönen neuen Welt“ draußen.

Pandora’s Brave New Box

Rebecca Tan, Currents, Juli/August

The Museum für Kunst und Gewerbe (Arts and Crafts) is always good for a treat. Start at the top floor (German second floor) with Christina Lissmann’s art installation called Brave New World. Inspired by Aldous Huxley’s book, her huge box is about the size of eight German bedroom Schränke built in a square and covered with mirrors. Inside, it is an octagon with more mirrors reflecting built-in television screens. On screen are busts of people dressed in Star Wars costumes. They fire off a round of serious and trivial questions such as „Are you Single?“ „Do you earn enough money?“ „Is your nose real?“ „Are you tired?“ „Can you recite a poem?“ „Are you awake or asleep?“ At this point you wonder. Although the questions are in German, you will understand them and even feel called upon to answer. Miss Lissmann could answer a loud „no“ to „Do you only use 2% of your brain?“ With a doctorate in philosophy behind her, she has combined ideas about reality, identity, materialistic utopias, reflections, and irritations for this interesting work of art.

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1, 20099 Hamburg